Platzwechsel


Meine Schritte sind ausgreifend, aber ich bin bei jedem Aufsetzen des Fußes darauf gefasst, dass ich auf einer vereisten Stelle lande. Bevor ich nicht auf dem Feldweg bin, werde ich meine Aufmerksamkeit nicht von dem riskanten Straßenbelag nehmen, um mir den Reif auf den Bäumen und Gräsern zu betrachten.
Doch in den Augenwinkeln buhlt etwas um mein Interesse. Als ich aufblicke, nehme ich große, geweitete Augen wahr, die sich hinter der Scheibe eines silbergrauen BMW bedohlich auf mich zu bewegen. Ich registriere hektische Lenkbewegungen, die jedoch keinen erkennbaren Einfluss auf den Impuls des Fahrzeuges zu haben scheinen.
Mein Bordcomputer meldet, dass eine Interpolation der Bewegungsrichtung des Personenkraftwagens meinen derzeitigen Standpunkt unsicher erscheinen lassen und ein kurzfristiges Entfernen von diesem angeraten ist.
Bevor ich richtig darüber nachdenken kann, hat ein optimistischer Teil meines Gehirns schon den Befehl gegeben, über den niegrigen Maschenzaun des Schrebergartens an meiner Seite zu springen. Vielleicht hätte dieser Teil des Gehirns zuvor Rücksprache mit dem Bordcomputer halten sollen. Der hätte sicher in Erwägung gezogen, dass ich nicht mehr so große Sprünge mache, wie vor 20 Jahren.
Mein größter Teil ist schon über dem Zaun, als meine Fußspitze am Rand desselben hängen bleibt und dem Rest meines Körpers einen Drehimpuls aufzwängt, der mich der länge nach im Dreck landen läßt.
Na, super!
Als ich aufblicke, sehe ich dass dieser BMW doch tatsächlich meinen Platz eingenommen hat!
Langsam melden die Scheitellappen meines Gehirns einen dumpfen Schmerz an meiner rechten Schulter.

„Ist Ihnen etwas passiert?“
Ein Kostüm mit hübschen Beinen steht am Rand des Gartens.
„Wie kannst Du jetzt an hübsche Beine denken?!“ rufe ich mich zur Ordnung und habe natürlich sofort eine Ausrede parat.
„Ich habe nicht daran gedacht, sondern habe es lediglich als erstes gesehen, was bei meiner derzeitigen, physischen Position durchaus verständlich ist.“

Ich ändere diese Position und beginne den Schmutz abzuklopfen, gebe jedoch bald auf.

„Es tut mir sehr leid!“ sagt das Kostüm, das auch ein Gesicht hat, wie ich in meiner nun erhöhten Lage festelle.
„Sommerreifen?“ frage ich.
„Ich habe erst am Donnerstag einen Termin bekommen.“ gesteht sie zerknirscht.
„Dann können Sie auch gleich die Kratzer im Lack begutachten lassen.“

Ein Lächeln huscht durch ihr Gesicht. „Ich mache mir mehr Gedanken um Ihre Kratzer.“

„Es sind keine bleibenden Schäden entständen.“ lache ich und betrachte meine Kleidung.

Als ich wieder nach Hause gehe, um mich umzuziehen, frage ich mich, wie albern es wohl ausgesehen haben mag, wie ich als wild zappelnder Gockel über den Zaun geflattert bin. Na ja, ich bin eben nicht James Bond.

5 Antworten zu “Platzwechsel

  1. schön, dass nichts passiert ist… – aber mal ehrlich… – das ist auch eine art, mal nette bekanntschaften zu machen – oder?
    zu gern hätte ich deine „becker-rolle“ über den zaun gesehen 🙂

  2. Da gewinnt der Begriff „sich treffen“ eine ganz neue Bedeutung. 😀
    Aber nein, Kostüm und dicker BMW passt nicht zu mir.

  3. hmhh, das Kostüm vielleicht schon, aber der BMW???

  4. Wie ist es denn mit dickem Benz, Winterreifen und Jeans? Damit bin nämlich derzeit unterwegs…und halte auch nichts mehr, wenn das Geschoß ins Rutschen kommt…aber bislang alles unversehrt…

  5. @ronja: Kommt drauf an, ob sie das auch privat trägt. Es sah gut aus, aber das ist nichts für meinen Alltag.

    @morgiane: Es ist kein grundsätzliches Markenphänomen. Zu schick ist nix.
    Schön zum Ansehen, aber die würde mit mir nicht glücklich. Ich mags lieber etwas legerer. 🙂

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